Die Bundeswehr und das Monitoring

Lupe Das Thema „Social Media Monitoring“ wird auch für die öffentlichen Stellen immer mehr ein Thema – sei es zur Begleitung der aufkommenden eigenen Social Media Aktivitäten oder zur Marktforschung und Themenidentifikation. Hier macht auch die Bundeswehr keine Ausnahme, wie z.B. der Themenschwerpunkt „Monitoring“ der diesjährigen Govermedia gezeigt hat (Programm 2014 als PDF, 289 KB). Bereits im Juni gab es dann erste Hinweise auf das Projekt WeroQ („Wissenserschließung in offenen Quellen“), weitere Details wurden dann letzte Woche im Rahmen einer kleinen Anfrage durch ein Mitglied des Bundestages öffentlich und lösten schnell Kritik aus. Was ist aber dran an den kritisierten Punkten?

Im Kern geht es darum, dass die Bundeswehr plant, Auslandseinsätze durch Social Media Monitoring zu begleiten. Hierzu soll zunächst geprüft werden, ob und wie ein solches Monitoring realisierbar wäre (Langfassung siehe Netzpolitik.org):

Im Rahmen der wehrtechnischen Forschung und Technologie (F&T) beabsichtigt das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) im Zeitraum von 2014 bis 2016 ein F&T-Vorhaben “Wissenserschließung aus offenen Quellen (WeroQ)” durchzuführen. […]
 

Mit diesem F&T-Vorhaben sollen zunächst jene Technologien identifiziert werden, die sich für Möglichkeiten zur IT-gestützten Nachrichtengewinnung aus offenen Quellen eignen. Dabei soll auch untersucht werden, welche Technologien für die Bundeswehr nutzbar sind. Erst nach Abschluss dieser wehrtechnischen Studie wird sich feststellen lassen, ob für IT-gestützte Nachrichtengewinnung auch die Textmining-Technologien genutzt werden können. Daher ist zum heutigen Zeitpunkt noch keine Aussage möglich, welche Techniken bzw. OSINT-Verfahren konkret zur Anwendung kommen könnte. […]
 
Das Zentrum Operative Kommunikation der Bundeswehr (ZOpKomBw) wertet die Lage im Informationsumfeld (InfoU) aus, um allgemeine Meinungs- und Stimmungslagen in den Einsatz- und Interessengebieten der Bundeswehr im Ausland zu erhalten. Hierzu werden im Rahmen eines Concept Development & Experimentation (CD&E)-Vorhabens zur Analyse des InfoU offene, frei-zugängliche Quellen – sog. Open Sources – im Internet betrachtet, wozu soziale Medien gehören. Eine Analyse des Informationsumfeldes außerhalb des Einsatz- und Interessengebietes der Bundeswehr im Ausland, etwa in Deutschland, ist weisungsgemäß ausgeschlossen und findet nicht statt.
 

Im Rahmen eines Projektes zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten des ZOpKomBw werden marktverfügbare Analysetools für soziale Medien in nahezu Echtzeit zum Feststellen der Wirksamkeit der eigenen Operationsführung verwendet. Es handelt sich dabei um die für jedermann am Markt verfügbare und käufliche Software TEXTRAPIC und BRANDWATCH‚ beides Anwendungen aus der zivilen Wirtschaft.

Die Software Textrapic (mehr Informationen) stammt vom Institut für grafische Wissensorganisation (GRAWIS) an der Universität Rostock, wurde ursprünglich für wissenschaftliche Zwecke entwickelt und und hilft bei Visualisierung großer Textmengen.

Der zweite erwähnte Anbieter Brandwatch liefert die Inhalte zu und hat sich kurz nach der Veröffentlichung in einem Blogpost geäußert:

Das Thema Datenschutz ist für uns und unsere Kunden sehr wichtig – sowohl für uns als Firma als auch als Individuen, die die Sozialen Medien täglich selber nutzen. […]
 
Die Daten, die Brandwatch crawlt, sind allesamt öffentlich zugänglich und stammen von Twitter, Facebook, Blogs, Foren, News-Seiten, Video-Portalen etc. Selbstverständlich werden bei den Sozialen Netzwerken selber (Facebook, Twitter etc.) auch nur die öffentlich verfügbaren Daten erfasst. Es gibt verschiedene Wege, wie wir bei Brandwatch die Daten generieren: Im Zentrum steht unser eigener Crawler, aber wir haben auch Kooperationen mit Daten-Providern wie GNIP für Twitter oder greifen auf APIs zurück. Sofern eine Seite nicht gecrawlt werden möchte und dies durch die robots.txt ausschließt, wird sie nicht durchsucht.
 
[…] Beim Social Media Monitoring geht es vorrangig um die Auswertung von Informationsströmen, die durch die Big-Data-Analysen entstehen und die Dynamik der Gesamtgespräche im Social Web darstellen.

Natürlich stellen sich einige Detailfragen in diesem Zusammenhang, wobei die Frage nach der gesetzlichen Zulässigkeit eigentlich eindeutig ist (siehe auch Rechtsanwalt Thomas Schwenke):

Eine weitere gesetzliche Erlaubnis gestattet die Verarbeitung von allgemeinzugänglichen Daten, sofern schutzwürdige Belange der Nutzer nicht offensichtlich dagegen sprechen.

Dies ist also sowohl für normale Wirtschaftsunternehmen (siehe Bundesdatenschutzgesetz, BDSG §28 Abs. 1) als auch für öffentliche Stellen (BDSG §13 ABs. 2 Nr. 4 und BDSG §14 Abs. 2 Nr 5) grundsätzlich erlaubt – zumindest im Sinne des Gesetzes.

Ebenfalls spannend: Die Frage nach den konkreten Analysemöglichkeiten der Inhalte und wie es mit dem sog. „Profiling“ aussieht. Auf Nachfrage des MonitoringMatcher erklärt Giles Palmer, CEO und Gründer von Brandwatch:

[…] Mit der Plattform können Brandwatch-Kunden Stimmungsbilder auswerten, Trends erkennen und Analysen zu bestimmten Themen durchführen. Auch die öffentlich verfügbaren Gespräche einzelner Autoren können damit untersucht werden.
 
Bei allen Auswertungen steht für uns – sowohl als Firma als auch als Individuen, die selber im Social Web aktiv sind – immer der sensible
Umgang mit Daten im Fokus. So können unsere Kunden beispielsweise kein Profiling zu einzelnen Autoren-Profilen mit unserer Plattform betreiben oder Gespräche analysieren, die in einem geschützten Bereich stattfinden.[…]

Nur am Rande erwähnt seien die – toolübergreifenden – Grenzen des Monitorings bei Twitter und auch im Bereich Facebook. Letzteres scheitert nämlich häufig nicht nur an den restriktiven Privatsphäre-Einstellungen vieler Benutzer (und das zu Recht), sondern auch am sehr begrenzten Ausschnitt aus allen öffentlichen Äußerungen auf Facebook, die für die Crawler der Tool-Anbieter verfügbar sind. Im Fall von Twitter hingegen sorgt die nur in sehr kleinen Dosen verfügbare Geolokalisierung von Tweets schnell für sehr große Datenmengen, da es eben nicht möglich ist, zuverlässig nur Treffer aus einer bestimmten (Auslands-)Region zu berücksichtigen.

Zugegeben: Die Tonalität von Teilen der öffentlichen Diskussion (siehe Linkliste am Ende) irritiert doch ein wenig, auch wenn es natürlich immer wichtig ist, kritisch zu bleiben. Viele Artikel beschäftigen sich zudem mit ähnlichen Plänen des Bundesnachrichtendienstes sowie der Frage, inwieweit Profiling nicht doch erfolgen wird – beides haben wir hier im Artikel ausgeklammert. Es gilt jedenfalls: Sofern eine öffentliche Stelle Markt- und Meinungsforschung realisiert, so würde dies ja im Prinzip auch niemand kritisieren, wie auch Journalist und Militärblogger Thomas Wiegold zusammenfasst:

Da geht es darum, aus Tausenden von offenen und öffentlichen Twitter- oder Facebook-Feeds Stimmungslagen herauszudestillieren, gerade in Konfliktregionen. Und nicht darum, Datensammlungen zu einzelnen Personen anzulegen.
 
Nun muss man sich das in der Tat sehr genau angucken – und so was sollte auch nachprüfbar sein, beispielsweise vom Datenschutzbeauftragten. Allerdings: Den Streitkräften solche social media-Analyse zu untersagen, ist etwa so, als würde man ihnen auch untersagen, auf Facebook oder Twitter zu lesen, was in Nordafghanistan so gefacebooked oder getwittert wird. Sie könnten sich ja merken oder gar aufschreiben, wer sich da geäußert hat. (Wenn übrigens Google die ziemlich gleichen Techniken nutzt, um eine Grippewelle vorherzusagen, scheint das ja kein Problem zu sein.) Und Zeitungen oder Radio- und Fernsehsendungen sollten sie lieber auch nicht mehr anschauen, sie könnten ja zu einem Erkenntnisgewinn kommen. (Dass sie das in manchen Fällen nicht tun, obwohl sie es besser täten, ist wieder eine andere Frage.)

Auch das Konzept, sich dem Thema „Monitoring und seine Möglichkeiten“ über Forschungsprojekte zu nähern, scheint sinnvoll und wird auch an anderer Stelle bereits praktiziert. So beschäftigt sich beispielsweise das Robert-Koch-Institut im Rahmen von „Mobi Dig“ (PDF-Kurzinfo) zusammen mit Complexium mit dem Thema „Monitoring biologischer Gefahrenlagen in der digitalen Gesellschaft“. Ein anderes Beispiel ist das Projekt „BaSiGo – Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen„, bei dem unter anderem Talkwalker beteiligt ist.

Alles in allem ist hier ein Fazit schwierig. Die auch vom Bundesministerium des Inneren skizzierten Punkte scheinen zunächst einmal unproblematisch zu sein, da die verwendeten Technologien und die Bereiche, die vom Monitoring erfasst werden sollen, rechtlich zulässig sein dürften (vor allem für die Bundeswehr und im Hinblick auf Auslandseinsätze). Hier wäre es aber definitiv spannend, eine ausführlichere juristische Einschätzung zu bekommen – auch um unnötige Unruhe in der Monitoringbranche zu vermeiden.

Eine weitergehende Diskussion – gerne auch ohne umgehenden Wechsel in die Kategorie Verschwörungstheorie – wäre aber ebenfalls sehr wichtig, denn es gibt schon in Sachen technischer Möglichkeiten noch viel Aufklärungsbedarf. Speziell das Thema „Monitoring im Innern“ und alles, was mit Profiling zu tun hat, birgt noch viel Konfliktpotential. Und auch das Thema „rechtliche Anforderungen“ dürfte in den nächsten Jahren für den gesamten öffentlichen Sektor immer wichtiger werden, gerade weil noch viele Punkte nicht geklärt und auch die Gesetze nicht mehr auf dem neuesten Stand sind. Oder um es mit dem bekannten Facebook-Beziehungsstatus zu sagen: „Es ist kompliziert“.

Abschließend noch eine Übersicht der Berichte zum Thema „Monitoring der Bundeswehr„:

Disclaimer: Der Autor hat bis August 2013 als Community Manager für Brandwatch gearbeitet. Auf seine Meinung und das vorstehend Geschriebene hat dies aber keinen Einfluss.

Photo credit: m4tik via photopin cc

MonitoringMatcher

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