Twitter-Dämmerung? Spekulationen zu Share-Count-API

Twitter-Dämmerung Share-Count-API Share Count APISeit etwa zwei Monaten steht die Entscheidung von Twitter fest, das Share-Count-API abzuschalten. Über dieses API fragen die weit verbreiteten Sharing-Buttons (siehe auch am Ende dieses Artikels) die Anzahl der Shares eines Links ab. Ähnlich ist dies auch für andere Plattformen wie Facebook, LinkedIn oder Pinterest möglich. Das Ergebnis wird dann angezeigt und gibt so einen ersten Eindruck, wie „populär“ der jeweilige Link im Social Web ist.

Im Oktober gab dann Twitter konkrete Gründe und ein Datum zum Share-Count-API Ende bekannt: 20. November 2015. Und seit gestern ist sie nun auch abgeschaltet. Die seit der Bekanntgabe der Entscheidung diskutierten möglichen Gründe und Auswirkungen haben wir nachfolgend zusammengetragen und auch ein paar Tool-Anbieter befragt. Und einige Aspekte könnten dabei aus der Sicht von Twitter problematisch werden.

Mögliche Gründe für die Abschaltung des Share-Count-API

Interessanterweise sind gleich zwei „offizielle“ Gründe für diese Entscheidung genannt worden, eine weitere der Spekulationen hat sich ebenfalls mittlerweile bestätigt.

  • Wegen Datenbank-Wechsel wäre Umstellung erforderlich, die zu aufwändig wäre
    Die Übersetzung durch heise (basierend auf dem Twitter-Blogpost) spricht eigentlich für sich:

    Der technische Grund sei der Wechsel von Apache Cassandra auf die Twitter-eigene Datenbank Manhattan. Der Counter sei eines der letzten Features, die noch auf Cassandra läuft. Twitter habe vor der Wahl gestanden, den Zähler auf der neuen Datenbank frisch zu entwickeln, was Kosten und die Verzögerung anderer Projekte bedeuten würde, oder ihn zu deaktivieren.

  • Ungenaue Werte sollen künftig vermieden werden
    Neben der mangelnden Genauigkeit der Werte (gerade bei abweichenden Schreibweisen des geprüften Links) stellte auch die mangelnde Relevanz des Werts ein Problem dar (s.a. heise und Twitter-Blogpost):

    Das Abschalten der API erklärt Twitter zunächst inhaltlich damit, dass der Share Count zu wenig Aussagekraft habe. Er spiegele nur wider, wie oft die URL genutzt wurde. Antworten auf die teilenden Tweets, Zitate oder Abwandlungen der URL fielen dabei unter den Tisch.

  • Umsätze von eigenen Dienstleistern wie Gnip sollen angekurbelt werden.
    So gab es dazu laut heise in einigen Foren Diskussionen mit konkreten Thesen: „Entwickler, die nun auf die API verzichten müssen, vermuteten unter anderem, dass Twitter seinen eigenen Dienst Gnip fördern will.“ Aus der Luft gegriffen waren diese Überlegungen offenbar nicht, wie eine weiter unten zitierte Anbieterstimme zeigt…
  • Die Twitter-eigenen Analytics sollen stärker genutzt und gefördert werden (inkl. Werbe-Option)
    Eine durchaus reizvolle These stellt das Blog „Convince & convert“ auf. So wird dort spekuliert, dass die Sharing-Werte künftig auch bzw. nur über die bordeigenen Twitter-Analytics angezeigt werden könnten. Und auf diesem Wege würden Blogger und andere Publisher dann langsam, aber kontinuierlich an die Werbe-Optionen herangeführt (siehe Blogpost):

    But what if Twitter announces – and I’m telling you right now to expect this – that sharing counts are only available on the Twitter Analytics dashboard? In truth, the data available there is already pretty sweet, and if Twitter put sharing data exclusively in that dashboard, what will happen? A LOT MORE people will log on to that dashboard, slavishly scanning the numbers for their daily dose of social proof.

    How does that scenario help Twitter? Well, guess what else is featured on the analytics dashboard? If you guessed “Twitter ad options” you win! […]
    Now imagine Twitter has the ability to educate you and promote those ad options to you every time you log in to see the share count data they stripped away.

  • Die in aller Regel deutlich schlechteren Share-Werte (z.B. gegenüber Facebook) sollen künftig nicht mehr sichtbar sein.
    Network Marktanteile Langzeit (Quelle 10000 Flies) zum Share-Count-APIDie mittlerweile übermächtige Dominanz von Facebook als Verteilerplattform für Inhalte zeigt sich schon seit längerem auch in den Sharing-Werten (siehe z.B. Blog von 10000 Flies im Mai 2015). So ist der Marktanteil von Facebook von 80,7% (Januar 2013) auf 93,4% (Januar 2015) gestiegen, während Twitter von 16,3% (Januar 2013) auf einen Marktanteil von 4,8% (Januar 2015) geschrumpft ist. Passend dazu gehen heute üblicherweise die gezählten Shares, Likes und Empfehlungen eines Artikels bei Facebook schnell in den dreistelligen Bereich, während der Wert bei Twitter maximal zweistellig wird. Und auch wenn der von Facebook gelieferte Wert mit Vorsicht zu genießen ist, da er wirklich jedwede Interaktion zählt, lässt es rein auf Zahlenbasis Twitter kontinuierlich schlecht aussehen. Ein gerade in mehreren persönlichen Gesprächen aufgekommene These ist daher: Diese Negativ-Wirkung soll künftig durch das Ausblenden des Werts verkleinert werden.

Mögliche Auswirkungen der Abschaltung des Share-Count-API

Die folgenden Überlegungen sind alle spekulativ und es wird sich zeigen, ob und welche Auswirkungen die Entscheidung von Twitter haben wird. Eines haben die Überlegungen gemeinsam: Keine davon geht von einem positiven Effekt für Twitter aus…

  • Es ist weniger attraktiv, einen Twitter-Button zu integrieren
    Denn ein „leerer“ Button erweckt den Eindruck, der Artikel sei nicht populär und könnte den Text „abwerten“. Aus Anbieter-Sicht sinkt also möglicherweise die Motivation, einen solchen Button zu integrieren, auch wenn er natürlich weiter hilfreich wäre, den Link zu twittern.
  • Populäre Links werden eher geteilt, d.h. ohne Sichtbarkeit der Popularität sinkt die Wahrscheinlichkeit, das Links geteilt werden
    Auch aus Nutzer- bzw. Besuchersicht könnte die schlechter erkennbare „Relevanz“ dazu führen, dass ein Link seltener getwittert wird.
  • Sinkende Relevanz: Ein Teufelskreis
    Beide vorherigen Überlegungen zusammen könnten zu einem Teufelskreis führen: Wenn die Zahl der Twitter-Buttons sinkt, würden vermutlich auch die Zahl der getwitterten Links zurückgehen. Dadurch würden dann wiederum mehr Twitter-Buttons verschwinden, denn schließlich werden ja gefühlt immer weniger Links bei Twitter geteilt. So würde dieser Kreislauf den Effekt der sinkenden Relevanz immer weiter verstärken…
  • Aggregatoren
    Für Aggregatoren (z.B. Rivva) und Dienste, die versuchen, populäre Inhalte im Social Web zu identifizieren (z.B. „10000 Flies“), könnte die Abschaltung des Share-Count-Interface problematisch sein, da sie zumindest bei Twitter möglicherweise nicht mehr (oder nur noch eingeschränkt) auslesen können, wie oft ein Link getwittert wurde. Bei aller Dominanz von Facebook könnte so eine auch heute wichtige Quelle für aktuelle Informationen und Links vom Radar verschwinden. Eine erste Einschätzung der beiden genannten Anbieter findet sich übrigens weiter unten im Text.
  • Rennen gegen die Zeit?
    Sowohl die Strategie, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten von Gnip unterstützt werden sollen, als auch der Gedanke, dass die Twitter-Nutzer die eigenen Analytics und eben auch Werbemöglichkeiten besser kennenlernen, haben eines gemeinsam: Sie setzen darauf, die professionellen Nutzer stärker einzubinden und zu aktivieren. Dabei gilt es sehr genau zu beobachten, ob die Reichweite nicht schneller zurückgeht als die Nutzer aus Unternehmen mobilisiert werden können. Möglicherweise könnte Twitter dieses Rennen gegen die Zeit verlieren…

Anbieterstimmen zum Share-Count-API Ende

Wie schon erwähnt, könnte das Wegfallen des Share-Count-API Auswirkungen auf Aggregatoren haben. Deshalb freuen wir uns, dass wir kurzfristig von zwei drei vier bekannten Tools eine Rückmeldung zum Thema bekommen haben, auch wenn die Einschätzungen unterschiedlich ausfallen.

Für Frank Westphal, Kopf und Macher hinter dem News- und Blog-Aggregator Rivva, stellt die neue Situation kein Problem dar:

Ich habe dieses API nie verwendet.

Rivva interessiert sich vor allem für die Tweet-Inhalte, deren Sentiment, Bag of Words, Sprache und Herkunft (Land des Nutzers).

Beim Share-Count wusste man hingegen nie, ob die gezählten Tweets nicht in Wirklichkeit nur von einer kleinen Clique oder womöglich von einer einzigen Person erzeugt wurden. Deduplikation und Mehrfachstimmen waren ein Problem.

Etwas kritischer fällt dagegen die Einschätzung von Antonius Klees, Geschäftsführer der active value GmbH und Betreiber von 10000 Flies, aus:

Wir haben bis zur Umstellung die Share-Count-API von twitter genutzt. Das Problem der Umstellung war uns schon lange Zeit bekannt. Die Kommunikation von twitter zu dem Thema war sehr „zurückhaltend“. Wir sind doch sehr überrascht, dass das Thema nicht noch stärker diskutiert wurde.

Grundsätzlich waren wir, wie alle anderen Dienste die auf API angewiesen sind, von der Entscheidung, die API ersatzlos einzustellen, sehr überrascht. Wir haben twitter auch direkt auf das Thema angesprochen.
Twitter hat uns an GNIP verwiesen. Der Dienst Buzzsumo nutzt auch eine Lösung, die von GNIP bereitgestellt wird.

Wir arbeiten noch an Lösungen, die sowohl technologisch als auch wirtschaftlich für uns sinnvoll sind

Ergänzung 24.11.15: Gestern habe ich dann noch Torsten Müller, Mitgründer und CMO der Twittersuchmaschine tame.it, um eine Einschätzung gebeten:

Tame.it betrifft die Änderung nicht, da wir einen Mix aus verschiedenen Twitter-APIs verwenden und so beispielsweise Follower-Tweets nach relevanten Themen oder Links durchforsten. Dennoch kann man mit Tame.it herausfinden, wie oft eine URL getwittert wurde – allerdings spontan nur für innerhalb der vergangenen Woche.

Twitters eigene Analytics-Plattform wird durch den Wegfall des Share Counts essenziell, wenn es darum geht, einfache Statistiken zu ermitteln. Ob der fehlende Zählerstand auf Websites der Nutzeraktivität einen Abbruch tut, wird sich zeigen, aber sicherlich fällt einigen guten Diensten diese Auswertungsoption nun weg, da der Datenkauf oft nicht infrage kommt.

Ergänzung 25.11.15: Danke auch an Robert Glaesener, CEO von Talkwalker, der sich gegenüber dem MonitoringMatcher über die aktuelle Situation geäußert hat:

Wir haben bis zur Einstellung auch den Share-Count-API benutzt, gerade um die Anzahl der „Twitter-Shares“ für Treffer im Social Web (z.B. aus Blogs) zu ermitteln und auszuweisen.

Zum Zeitpunkt der Abschaltung hatten wir aber bereits einen anderen internen Weg gefunden, diese Daten direkt über unseren Partner Gnip (und die Twitter-Firehose) integrieren zu können. Wir sind natürlich auch neugierig, ob diese Veränderungen Auswirkungen auf Twitter haben werden, freuen uns aber vor allem, dass wir unsere Kunden kontinuierlich mit Daten versorgen können.

Soviel also zu den möglichen Gründen und Auswirkungen der Entscheidung von Twitter, das Share-Count-API anzuschalten. Und natürlich sind wir neugierig: Liegen wir richtig mit den Gedanken? Gibt es vielleicht noch andere Thesen und Überlegungen? Wir freuen uns auf Kommentare und Rückmeldungen zum Thema, z.B. per Kommentar!

P.S: Passend zum Thema hat übrigens Buzzsumo schon letzte Woche eine Chrome-Extension veröffentlicht, mit der man (als registrierter Nutzer) die Twitter-Shares für eine gerade geöffnete Seite oder einen Blogpost anzeigen lassen kann. Viele Informationen sind dort aber Nutzern der kostenpflichtigen „Buzzsumo Pro“-Variante vorbehalten. Angesichts des nicht mehr vorhandenen Share-Count-API könnte das ein gut florierendes Geschäftmodell werden…

Update 30.11.15, 02:30 Uhr:
Wer die Anzahl der getwitterten Links nicht missen möchte und ein WordPress-Blog betreibt, der kann mit dem (ohnehin empfehlenswerten) Plugin „Shariff Wrapper“ (Weiterentwicklung des über den heise-Verlag bekannten 2-Klick-Plugins) in Kombination mit dem Dienst OpenShareCount.com zumindest teilweise und für künftige Artikel Abhilfe schaffen – aber bitte sorgfältig das Kleingedruckte zur Einbindung von Shariff Wrapper lesen, das der Entwickler Jan-Peter Lambeck zusammengetragen hat.

Denn zum einen stehen die Daten nur für die letzten 7 Tage zur Verfügung, d.h. die Daten älterer Artikel sind nicht verfügbar. Zum anderen braucht der Dienst einen Twitter-Acoount zum Zugriff auf die Daten und Jan-Peter warnt sehr nachvollziehbar davor, für das beschriebene Verfahren den eigenen Twitter-Account zu verwenden. Wer es trotzdem probieren und einsetzen möchte: So geht es.

Wie man jedenfalls hier unter dem Artikel sehen kann, scheint der Dienst bislang zu funktionieren. Es wird sich zeigen, ob dieser Dienst alleine bleibt (und dann vermutlich das Opfer des Erfolges wird) oder ob weitere Dienste folgen werden. Wir freuen uns über Hinweise auf weitere Möglichkeiten…

Update 08.12.15, 18:44 Uhr
Ob es Ausdruck eines insgesamt sinkenden Anteils von Twitter am „Share of Voice“ und an den geteilten Links ist – siehe auch die oben erwähnten Zahlen von 10000 Flies – oder ob es wirklich an der fehlenden Anzeige der Twitter-Shares liegt, kann man aktuell noch nicht absehen. In jedem Fall ist im Shareholic-Blog zu lesen (Danke an Clemens für den Hinweis), dass ein Rückgang von 11% seit der Abschaltung der Share-Count-Api festgestellt wurde. Definitiv noch kein Trend (vor allem knappe 3 Wochen nach der Abschaltung), aber ein gutes Zeichen ist es auch nicht.

Update 14.12.15, 8:50 Uhr
Mittlerweile gibt es einen zweiten Dienst, über den man die Werte zum Share-Count wieder integrieren kann: Twitcount. Auch hier gilt meines Erachtens die open erwähnte Warnung, den Dienst im Zweifelsfall nicht über einen „richtigen“ Twitter-Account zu verwenden. Wir haben es noch nicht getestet, da die Integration von OpenShareCpunt mit Shariff Wrapper soweit gut funktioniert und ein einheitliches Set von Buttons seinen Charme hat. Insofern: Testerfahrungen gerne in die Kommentare schreiben. (via t3n)

Bildquelle (CC0): Pixabay

MonitoringMatcher

Das Magazin rund um digitales Monitoring – Social Media AnalyticsSocial Media MonitoringPublishingEngagement und Web Analytics (sowie Anbieter-ListenLese-Tipps und Termine).
Hier schreiben vor allem Stefan Evertz und Katja Evertz – Gastautoren sind aber sehr willkommen (siehe auch Mission).